Sudan Dossier: Ein Jahr Krieg: Die Zerstörung des sozialen Gefüges der Revolution im Sudan

April 20th, 2024 - von: Marwan Osman und Eberhard Jungfer, migration-control.Info

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Ein Jahr Krieg. Um zu gedenken, aber auch, um zu informieren, auch mit Berichten von Freund:innen, die Teil der Revolution waren, und einige von ihnen noch vor Ort, haben RLS und MC.Info an einem Dossier gearbeitet, das wir gemeinsam auf unseren jeweiligen Websites veröffentlichen. Das Dossier wird 10 Artikel über die Situation nach einem Jahr Krieg enthalten.

Eine Übersicht über die Artikel, die in diesem Dossier veröffentlicht werden, findet sich im dritten Teil dieser Einleitung. Im ersten Teil möchten wir an die lange Geschichte der sudanesischen Revolution erinnern, die im Dezember 2018 so hoffnungsvoll begann und die dem Putsch vom 6. Oktober 2021 widerstand, und die nur durch die beiden Generäle, die Krieg gegen das soziale Gefüge der Revolution führten, besiegt werden konnte. Warum war diese Revolution so tief und stark? Um dieser Frage nachzugehen, müssen wir etwas tiefer in dieses soziale Gefüge eintauchen, und das heisst in die soziale Verfassung der "ganz normalen Leute", die die Revolution gemacht haben.[1] Im zweiten Teil charakterisieren wir den Krieg als einen konterrevolutionären Krieg gegen eben dieses soziale Gefüge. Es ist nicht nur ein Krieg zwischen zwei verrückten Generälen, und es geht nicht nur um Territorien, Ressourcen, Bereicherung und ausländische Interessen, wie es oft analysiert wird. Es ist ein Krieg gegen die Unterschichten und ihr Streben nach einem besseren Leben.

RC Building

Omdurman, das Büro des Nachbarschaftskomitees Banat wurde zum Friedhof

Das soziale Gefüge der Revolution

Es ist noch nicht lange her, dass die akademische Sudanforschung begonnen hat, sich mit der Geschichte der "einfachen Leute" zu befassen. Ein kürzlich in Paris erschienenes Buch mit dem Titel Ordinary Sudan, 1504-2019 ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert. In der Regel haben die Historiker:innen über Intellektuelle, Politik, Parteien, Institutionen und Unterdrückung geschrieben. Der Sudan hat in der Tat eine reiche Geschichte antikolonialer Kämpfe, er hatte die erste kommunistische Partei Afrikas, und es gab die Revolutionen von 1964 und 1985.

Was die Gewerkschaften betrifft, so gab es im Sudan eine sehr starke und bahnbrechende Gewerkschaftsbewegung, von der nur die Railways Trade Union und die Gezira Scheme Farmers Union genannt werden sollen, die bedeutendsten im Sudan, die seit der Kolonialzeit über eine lange Erfahrung im Kampf gegen die Staatsmacht verfügten. Die sudanesischen Gewerkschaften spielten eine Schlüsselrolle beim Sturz des ersten Militärregimes von General Ibrahim Aboud (1958-1964), als sich alle in der Corporations Front zusammenschlossen. Und auch die zweite Militärdiktatur von Numairi (1969-1985) wurde von ihnen zu Fall gebracht, diesmal im Rahmen eines breiten Gewerkschaftsbündnisses, der so genannten Assoziationsfront.

Die Revolution von 1964 fand hauptsächlich in Khartum und Omdurman statt, und die politische Agenda betraf vor allem die postkoloniale herrschende Klasse, die sich rund um Khartum aus der Zusammenarbeit mit der Kolonialmacht entwickelt hatte. Es handelte sich mehr um einen politischen Umsturz als um eine soziale Revolution. Dies war bei der Intifada von 1985 anders. Diese begann mit Studentendemonstrationen, aber einen Tag später schloss sich die städtische Armutsbevölkerung an, und es kam zu einem Generalstreik und Demonstrationen in allen größeren Städten.

Der Hintergrund dieser Intifada waren eine Hungersnot in der Peripherie und die Interventionen des IWF, die zu höheren Brot- und Kraftstoffpreisen geführt hatten. Ähnlich verhielt es sich in verschiedenen Maghreb-Ländern. Dieses "Bargaining by Riot" zwang die Regime im Sudan dazu, die Preise über die Jahre hinweg relativ niedrig zu halten, sogar während der Jahre des Bashir-Regimes.

1985 lernte die herrschende Klasse, soziale Unruhen durch die Inszenierung des Konflikts als politisches Theater zu kontrollieren. Der Diktator trat zurück, es gab Wahlen, die traditionellen islamistischen Parteien gewannen, einige Kumpane bereicherten sich, eine islamistische Wohltätigkeitsorganisation wurde eingerichtet, außerdem gab es Ausbildungslager für islamistische Milizen, und vier Jahre später gab es einen neuen Diktator, der 30 Jahre lang bleiben sollte. Ein solches Szenario wollte die politische Elite, die Kleriker, der Sicherheitsapparat und die Armee 2019 erneut inszenieren. Aber nun war die soziale Bewegung zu stark, und es gab zuletzt keinen Spielraum für politische Vereinbarungen. Das war der tiefe Grund, einen Krieg gegen das soziale Gefüge zu führen.

1989 und die 1990er Jahre: Islamismus und Widerstand

Die 30-jährige Herrschaft der Islamisten (1989-2019) führte zur Zerschlagung der Gewerkschaften und zur Unterdrückung der Organisationen der Zivilgesellschaft. Die Eskalation des Krieges im Südsudan, des längsten auf dem afrikanischen Kontinent, durch die Ausrufung des Dschihad gegen die südlichen Kämpfer fügte diesem Krieg, der als Krieg gegen Marginalisierung und Ungleichheit bei der Verteilung von Macht und Reichtum begonnen hatte, eine neue Dimension hinzu.[2] Die Beschleunigung des Prozesses der Arabisierung und Islamisierung der nicht-arabischen Ethnien hatte bereits während des ersten Militärregimes von General Ibrahim Aboud in den frühen 1960er Jahren begonnen und wurde in den 1980er Jahren nach der Einführung der Scharia (islamisches Recht) durch das zweite Militärregime von Numairi (1969-1985) fortgesetzt.

Nach dem Fall des so genannten Eisernen Vorhangs in Europa kämpfte die sudanesische Kommunistische Partei um ihre Einheit und initiierte die so genannte "Allgemeine Diskussion über den Marxismus" und über die "Frage der sudanesischen Revolution" sowie über die interne Struktur der Partei, insbesondere das Prinzip des "demokratischen Zentralismus". Dies führte zu tiefen Spaltungen innerhalb der Partei und schwächte den linken Flügel, den Hauptgegner der Islamisten. Es ist erwähnenswert, dass die linke Studierendenbewegung aufgrund der langen Tradition der Redefreiheit an den sudanesischen Universitäten weitaus stärker war als die politischen Parteien. Sie hielten den Kampf gegen das Regime sehr lebendig.

Gegen den Militärputsch der Islamisten 1989 gab es von Anfang an Widerstand. Am zweiten Tag des Putsches rief die Ärztegewerkschaft zum Streik auf. Die Islamisten waren sich der wichtigen und historischen Rolle der Gewerkschaften sehr wohl bewusst und entwarfen in aller Eile ein neues Gesetz gegen die Gewerkschaften, um ihre Wirkung einzuschränken und so dem sudanesischen Volk dieses bewährte Instrument des Widerstands vorzuenthalten. Aufgrund der strengen Sicherheitsvorkehrungen und der brutalen Unterdrückung beschränkte sich der zivile Widerstand auf die Universitäten und die Studierendenbewegung.

Mitte der 1990er Jahre versammelte sich eine Reihe sudanesischer politischer Parteien (Nationale und Demokratische Vereinigung), darunter erstmals auch die SPLM, in Asmara, Eritrea, und rief die so genannte Asmara-Konferenz für entscheidende Fragen ins Leben, auf der der bewaffnete Kampf gegen die islamistische Regierung beschlossen und erklärt wurde. Dieser Schritt war nicht von langer Dauer, da sich das Bündnis aufgrund zahlreicher politischer Differenzen bald auflöste. Für den Rest der 1990er Jahre befand sich der sudanesische politische Widerstand im Winterschlaf, mit Ausnahme des bewaffneten Kampfes der SPLA.

Die 2000er Jahre waren durch das Aufkommen der bewaffneten Bewegungen in Darfur gekennzeichnet. Die Islamisten gingen dazu über, den Tribalismus in Darfur zu schüren, indem sie arabische Milizen in Darfur rekrutierten, um gegen nicht-arabische ethnische Gruppen, insbesondere Fur, Zaghawa und Massalit, zu kämpfen. Dies war der Berginn des berüchtigten Völkermords und der ethnischen Säuberungen in Darfur.

Der Widerstand gegen die Islamisten im Sudan nahm zwei verschiedene Formen an: Bewaffnete Bewegungen in den Randgebieten, in den Nuba-Bergen, südlich des Blauen Nils, in Darfur und im Ostsudan auf der einen Seite und ein friedlicher Weg in den zentralen und nördlichen Teilen des Landes auf der anderen.

Exkurs: Über Tribalisierung

Der Sudan ist ein Land, das durch Tribalismus, die Rivalität zwischen "nicht-arabischen" und "arabischen" Ethnien, gespalten ist. Wenn man nicht genug über die Geschichte des Sudan weiß, klingt das wie eine bekannte Geschichte über alten Hass, der im gewalttätigen Afrika explodiert. Doch dise Geschehnisse in Südsudan sind damit nur dem Anschein nach beschrieben. In Wirklichkeit kämpften die Dinka und die Nuer nicht in einer endlosen Fehde; sie waren sich nicht schon vor der Einführung der kolonialen Ordnung an die Gurgel gegangen. Vielmehr kämpften sie um die Kontrolle über den brandneuen Staat. Sie strebten nach der Beute der Herrschaft, die sie als Privilegien der Ethnie verstanden. Derjenige, der regiert - d. h. wer über genügend Waffen und Geld verfügt, um eine loyale Kampftruppe zu unterhalten - kann Geld, Immobilien, Arbeitsplätze, Geschäftsmöglichkeiten, Verträge und Schutz für seine eigene ethnische Gruppe bereitstellen. So funktionieren die Dinge im Südsudan, dank der kolonialen Moderne.

Nachdem die Briten Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Macht übernommen hatten, politisierten sie die ethnischen Grenzen, indem sie kulturelle Unterschiede als "Stammesunterschiede" rekonstituierten. Die Erben dieser kolonialen Mentalität regieren wie die Briten, nicht wie ihre Vorfahren. Das Gebiet des heutigen Sudan und Südsudan beherbergt seit mindestens einem halben Jahrtausend eine beeindruckende menschliche Vielfalt, aber erst in den letzten hundert Jahren war diese Vielfalt eine Quelle von Konflikten. Dies ist auf die Logik der indirekten Kolonialherrschaft zurückzuführen. Seit Beginn des Jahrhunderts und mit zunehmend in den 1920er Jahren haben die britischen Kolonialbehörden den Sudan tribalisiert, indem sie rechtliche und physische Barrieren zwischen Gruppen errichteten, die sich zuvor trotz ihrer kulturellen Unterschiede vermischt hatten. Die Briten sperrten die Gruppen in Grenzen ein, die vorher nicht existierten, und errichteten über sie ein von den Kolonialverwaltern erfundenes System der Stammesherrschaft. All dies geschah, um die Kolonisierten daran zu hindern, Solidaritäten miteinander zu entwickeln.[3]

Der Ölboom und seine Folgen

Die frühen 2000er Jahre waren die Jahre des Völkermords in Darfur, aber gleichzeitig waren es auch die Jahre des Ölbooms, insbesondere nach dem Umfassenden Friedensabkommen mit der SPLA im Jahr 2005. Bereits in den 1990er Jahren hatte es eine "Hochschulrevolution" gegeben, aber jetzt gab es Arbeitsplätze und Möglichkeiten, nicht nur Hochschulen und Universitäten zu besuchen und studentischen Organisationen beizutreten, sondern auch in Stadtviertel und Gemeinden zu ziehen, die man als "neue Mittelschicht" bezeichnen könnte. Es gab viele Familien, deren Eltern weder lesen noch schreiben konnten, die sich aber selbst als Mittelschicht bezeichneten. Diese gut ausgebildete Jugend hat ihr Verständnis für Gegenseitigkeit nicht verloren und blieb mit ihren Familien als Solidargemeinschaft verbunden. Dies ist, wie wir meinen, einer der wichtigen "moralischen Gründe" auch für den Aktivismus der Graduierten in den Stadtteilen.[4]

2011 war ein entscheidendes Jahr in der Geschichte des Sudan. Während die meisten Menschen in der MENA-Region 2011 als das Jahr der arabischen Revolution erinnern, die in der Tat ein globaler Wendepunkt war, gilt dies im Sudan nur für linke und studentische Kreise. Inspiriert von der ägyptischen Revolution wurden Gruppen wie ChangeNow und Grifna (Wir haben es satt) gegründet. Der wichtigste Wendepunkt im Sudan war jedoch die Abspaltung des Südsudan. Dies hatte den Verlust der Öleinnahmen zur Folge, da mehr als 85 % der Ölfelder dem Südsudan gehören. Die Enttäuschung über das Votum der Südsudanesen für die Abspaltung war groß. In den folgenden Jahren litten die neuen Mittelschichten und die Arbeiterklasse, die Peripherien waren auf sich allein gestellt, aber am stärksten betroffen waren die unteren Schichten, die sich in den Städten niedergelassen hatten. Die Arbeitsmöglichkeiten gingen verloren, die Preise für Brot und Treibstoff stiegen ohne Ausgleich. Auch viele Absolventen der Universitäten wurden zu arbeitslosen Jugendlichen degradiert.

Dies führte 2013 zum Aufstand der Armen, und viele der politischen Gruppen wurden davon überrascht. Die Proteste begannen in Nyala, Darfur, Süd-Darfur und erreichten über Wad Madani sofort Khartum und Omdurman. Dieser Aufstand stellte einen Neuanfang dar, denn die Initiative ging von den armen "einfachen Leuten" aus, von Neuankömmlingen und Migrant:innen. Bashir rief Hemetti und seine Miliz zur Hilfe, um sein Regime zu schützen, und zahlreiche Protestierende wurden niedergeschossen . Viele der politischen Aktivisten, die versucht hatten, den Aufstand zu organisieren, wurden inhaftiert.

2013 - 2018: Elemente der sozialen Revolution

Die ersten Widerstandskomitees (RCs) wurden während der Proteste im September 2013 in Khartum gegründet. Ursprünglich handelte es sich nur um kleine Zellen, die sich der Mobilisierung für den Protest widmeten und von Studenten und jungen politischen Kadern mit Hochschulabschluss dominiert wurden.[5] In den Jahren nach dem Aufstand von 2013 wandten sich linke politische Organisationen, darunter auch die KP, den Stadtvierteln an der Basis zu. Aber auch die Kontinuität der Frauenkämpfe war entscheidend, ebenso wie die Fortsetzung der Proteste der Studierenden. In den Jahren 2014, 2015 und 2016 gab es mehrere Protestzyklen.[6] Auch die Sudanese Professionals Assaciation (SPA), die in der ersten Phase der Revolution eine wichtige Rolle spielte, wurde 2013 gegründet.

Wenn wir auf die Jahre nach dem Aufstand von 2013 zurückblicken, denken wir, dass neben der Inflation und der Verknappung von allem auch die folgenden Elemente für die Revolution von 2018 wichtig gewesen sind.

Nachbarschaftskomitees

Nach 2013 erlebte der Widerstand mit der Gründung der RCs einen Wendepunkt. Zu Beginn beschränkten sich die RCs darauf, wichtige Dienstleistungen für die Stadtviertel zu erbringen, wuchsen aber weiter und gewannen das Vertrauen der einfachen Menschen. Gegen Ende des Jahrzehnts, im Dezember 2018, mit der Verkündung der Sparmaßnahmen und der Aufhebung der Subventionen der lebenswichtigen Waren,[7] begann die politische Rolle der RCs mit der Notwendigkeit, sich in den täglichen Konfrontationen mit dem Sicherheitsapparat zu organisieren. Auf dem Höhepunkt der Protestbewegung Anfang 2019 wurden Tausende solcher Komitees gegründet. In den Worten von Magdi el-Gizoulis verbanden sie "das emanzipatorische Potenzial einer Volksbewegung mit einer radikal demokratischen Struktur, was in einem politischen Feld, das von Ad-hoc-Gremien mit begrenzter Repräsentativität beherrscht wird, selten ist".[8]

Natürlich variierte die Arbeit der RCs je nach der Zusammensetzung der jeweiligen Stadtviertel. Während es in den RCs in den Vierteln der Mittelschicht eher um Diskussionen und um politische Kompromisse ging, gab es in einigen ärmeren Vierteln radikalere RCs. El-Gizouli schrieb über die informelle Wirtschaft der "Republik Kalaka" (einem Viertel von Khartum): "In Kalakla gibt es einen hohen Anteil junger Arbeitsloser, wobei Hochschulabsolventen, Langzeitstudenten und Schulabbrecher überrepräsentiert sind. Viele sind in der so genannten informellen Wirtschaft als Hausierer, Gauner, Kleinhändler, Makler (einer Art), Fixer und Handwerker tätig. Alle sind in soziale und wirtschaftliche Netzwerke eingebunden, die auf Vertrauen und dem Austausch von Dienstleistungen und Vorteilen beruhen [...] Kalaklas 'Nigger' arbeiten in einer moralischen Ökonomie, die auf einem gewissen Maß an Umverteilung und Solidarität beruht, und daher ihre koordinierten Bemühungen, ihre Kameraden vor Polizeigewalt zu schützen".[8] In einem Fall wie diesem waren die Jugendlichen engagierte Straßenkämpfer, sie hatten radikale soziale Forderungen und sie vertrauten den Politikern nicht.

Kämpfe der Frauen

Die Frauen im Sudan hatten am meisten unter der Unterdrückung durch die Islamisten zu leiden, die sich im Gesetz über die öffentliche Ordnung manifestierte, das sich hauptsächlich gegen sie richtete. Hinzu kam die patriarchalische Struktur der sudanesischen Gesellschaft. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass der Anteil der Frauen, die sich an der Dezemberrevolution beteiligten, deutlich höher war als der der Männer (Frauenrevolution). Angesichts der langen und tief verwurzelten Tradition der sudanesischen Frauenorganisation (Sudanese Womens Union), einer Organisation, die zu Beginn des postkolonialen Staates gegründet wurde, und der Tatsache, dass die erste Frau in der so genannten arabischen Welt in Khartum ins Parlament gewählt worden war, war dies ein weiterer Sieg für die sudanesische Frauenbewegung. Gestützt auf eine so lange Geschichte des Kampfes waren die Frauen im Sudan in der Lage, den islamistischen Machthabern erbitterten Widerstand zu leisten und die Führung der Dezemberrevolution zu übernehmen, wie die oben erwähnte Teilnahme an den Demonstrationen zeigt und wie es auch in dem damals aktuellen Hashtag zum Ausdruck kam: #join_the_committee, und ihre Forderungen nach einer gleichberechtigten Vertretung der Geschlechter in der Übergangszeit.

Überwindung des Tribalismus

Wir haben das koloniale Erbe der Tribalisierung bereits näher erläutert. Der postkoloniale Staat setzte diese Tradition unter der Ideologie der arabischen und islamistischen Vorherrschaft fort. "Stammes"konflikte wurden initiiert und für die Erschließung von Ölfeldern, das Land-Grabbing und die Einhegung von Weideflächen für große Viehherden für den Export genutzt. Vor allem die "schwarzen" Bauern verloren ihre Felder und wurden in die Flüchtlingslager getrieben.

In den 1990er und 2000er Jahren konnten die Menschen jedoch in die Städte ziehen und taten dies auch. Ihre Mobilität war ein grundlegendes Merkmal des sudanesischen Sozialgefüges. Hunderttausende zogen aus dem Südsudan, aus den Nuba-Bergen, Kordofan und Darfur in die Dreiecksstadt. Sie siedelten sich in den riesigen Behelfsvierteln an und reproduzierten die Sozialität ihrer Dörfer, Seite an Seite mit den Auswanderern aus Äthiopien und Eritrea. Aber auch die kleineren Städte wuchsen beträchtlich. Durch diese Mobilität wurde die Kluft zwischen Zentrum und den Peripherien überbrückt.

Mit der Ausweitung des Bildungswesens (Hochschulrevolution in den 1990er Jahren) konnten viele sudanesische Jugendliche höhere Bildungseinrichtungen besuchen. Abgesehen von der schlechten Qualität der Ausbildung in diesen Einrichtungen brachten sie Jugendliche aus verschiedenen Teilen und Kulturgruppen des Sudan zusammen. Das Gleiche gilt für die Lager des obligatorischen Militärdiensts. Schließlich war das Sit-in vor dem Militärhauptquartier während der Revolution ein großes Fest der Überwindung von ethnischen Teilungen.

( Ankunft des Zuges aus Adbara auf dem Sit-in)

Universitäten

Das bereits erwähnte Erbe der Redefreiheit und der freien politischen Betätigung an den Universitäten trug in den 2000er Jahren zur Förderung der Studierendenbewegung bei, was darin gipfelte, dass ein Oppositionsbündnis die Wahlen zur Students Union an einigen Universitäten gewann, die traditionell eine Domäne der Islamisten waren.

Im Rahmen ihrer Privatisierungspolitik versuchte die islamistische Regierung im Jahr 2016, die historischen Gebäude der Universität Khartum zu privatisieren. Vor diesem Hintergrund wurde der Khartoum University Graduates Congress gegründet, um den Verkauf dieser Gebäude zu verhindern. Bald spielte dieser Kongress eine größere politische Rolle und rief zum Generalstreik und zivilen Ungehorsam auf. Am 27. November und am 19. Dezember 2016 waren die Aufrufe erfolgreich und brachten einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass die Islamisten besiegt werden könnten.

2018 - 2023: Die Revolution

Der erste Funke ging von Mayirnoo aus, einer winzigen Stadt im Süden des Blauen Nils, die für ihre starke politisch linke KP und ihre Fulani-Bevölkerung bekannt ist, und breitete sich dann auf andere Teile des Sudan aus. Die Demonstrationen hielten fast vier Monate lang an, bis zum Sturz von Al-Bashir am 11. April. Die Revolution wurde wie 2013 von "ganz normalen Leuten" initiiert und breitete sich sprunghaft auf zahlreiche Städte aus. Die Revolution begann an den Rändern, mit Forderungen nach Sicherheit, Brot und Wasser.

Als die Bewegung in die Städte vordrang, schlossen sich viele politische Gruppen an, und die Forderungen wurden in politische Slogans für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit umgewandelt. Nach den Internetabschaltungen wurden die Koordinierungsbemühungen der SPA und die Koordinierung des dezentralen Widerstands durch die RCs immer wichtiger. RCs entstanden nicht nur in der Dreiecksstadt und ihren dorfähnlichen Vororten, sondern an vielen Orten im ganzen Land. Ende 2022 gab es im ganzen Sudan 8000 RCs und etwa 100 Koordinierungsausschüsse, einen in jeder Stadt, sieben in der Trianglular City und einen in den Flüchtlingslagern.

Während des Sitzstreiks vor dem Militärhauptquartier vom 06. April bis 03. Juni 2019 wurde der Gemeinsinn des Volkes gefördert. Nachdem die RSF eingeschritten war und das Sit-in aufgelöst hatte, wobei es zu tödlichen Schüssen und Vergewaltigungen kam, gab es zahlreiche Demonstrationen und einen Generalstreik vom 9. bis 11. Juni. Im August 2019 war der Militärrat gezwungen, die Verhandlungen mit den zivilen Akteuren, den Kräften der Freiheit und des Wandels (FFC), wieder aufzunehmen. Dies führte zur Unterzeichnung eines Verfassungsdokuments und zur Bildung der Hamdok-Regierung (August 2019 - Oktober 2021).

Die zweite Welle der revolutionären Aktivitäten wurde von Sara Abbas und Shireen Akram-Boshar (2022) wie folgt zusammengefasst:[9]

"Am 25. Oktober 2021 ergriff das Militär erneut die Macht, verhängte den Ausnahmezustand und begann eine Terrorkampagne, um die volle Kontrolle über das Land zurückzugewinnen. Dies löste eine zweite Welle revolutionärer Aktivitäten aus. In dieser Welle verlagerte sich die Führung des Widerstands von seinem Zentrum im Jahr 2019 - der Sudanesischen Berufsvereinigung (SPA) - auf Widerstandskomitees in den Stadtteilen im ganzen Land. Die Komitees stellten sich klar und standhaft gegen das Militär sowie gegen die Versuche regionaler und westlicher Mächte, zum Abkommen über die Machtteilung von 2019 zurückzukehren. Die beiden lautesten Slogans der Widerstandskomitees, die sich die sudanesische Straße zu eigen machte, brachten ihren Standpunkt zur politischen Lage auf den Punkt: "Eine Rückkehr ist unmöglich" und "keine Verhandlungen, keine Partnerschaft und keine Legitimation" mit den Militärs".

Im Januar 2022 riefen die RCs ein "Jahr des Widerstands" aus. Hamdok trat zurück. Im Juni folgte eine weitere Welle von Protesten. Mehrere RCs begannen mit der Herausgabe politischer Chartas, "die auf einer umfassenden Konsultation ihrer Stadtteile, Regionen und anderer revolutionärer Gremien in ihren Gebieten beruhten. Diese Chartas verknüpften nicht nur die Frage der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit, des Krieges und der politischen Unterdrückung sowie des extraktiven kolonialen Staates und seiner postkolonialen Varianten, sondern sie skizzierten auch einen von unten nach oben verlaufenden Prozess der partizipativen Demokratie, der in scharfem Kontrast zu den verschiedenen Modellen der Macht von oben stand, die vom Militär, von zivilen Eliten und von westlichen Mächten vertreten wurden.[9]

Ende 2022 kam es gewissermaßen zu einem Wettlauf zwischen dem Militär und den RCs. Militär und FFC unterzeichneten ein weiteres Abkommen, das Rahmenabkommen über die Machtübergabe, aber niemand - außer einigen internationalen Akteuren - vertraute mehr auf diesen Prozess. In der Zwischenzeit hatte die Koordination der RCs die Revolutionscharta fertiggestellt; an den Diskussionen hatten sich 5600 RCs beteiligt. Die Charta enthielt einen klaren Zeitplan für die Machtübernahme durch die Revolutionsräte auf lokaler, regionaler und zentraler Ebene. Sie wurde im Januar 2023 allgemein veröffentlicht. Die RCs sahen eine echte Chance, das Militär zurück in die Kasernen zu drängen. Drei Monate später begannen die Sudanesische Armee (SAF) und die Hemetti-Milizen (RSF), sich gegenseitig zu bekämpfen. Die Revolution war im Kreuzfeuer gefangen.

Krieg als Gegenrevolution: die Zerstörung des sozialen Gefüges

Der Krieg war von Anfang an mehr als ein Krieg zwischen zwei Generälen. Er war ein Krieg gegen die Atmosphäre des revolutionären Aufbruchs und ein Krieg gegen das soziale Gefüge der Revolution. Die SAF stand für ein erneuertes nationalistisches islamistisches Militärregime, für die alten Verbindungen zu Ägypten und Saudi-Arabien und die alten Wirtschaftsnetze, während die RSF für eine "neoliberale privatisierte Version einer Armee in der Dritten Welt" stand, die auf Warlordismus und arabischem Rassismus beruhte, aber auch für ein Modell der Extraktion und militarisierten Landwirtschaft im Auftrag der Emirate. "Die RSF musste ihre Cash-Ökonomie in Bezug auf ihre Investitionen verwalten, und sie musste einen Zweck für ihre Kämpfer finden".[10] Aber beide, SAF und RSF, in dieser Hinsicht gleichgesinnt, sahen das Aufbegehren der einfachen Leute als ihren Feind an. Wie ein neoliberales Sprichwort sagt: "Besiege das Volk, und der Gewinner bekommt alles.

In den ersten Tagen des Krieges wurde viel Infrastruktur wie Brücken, Kraftwerke, Krankenhäuser und Schulen zerstört, aber die RCs blieben stark. Sie bauten Notaufnahmen für die medizinische Versorgung, Sozialküchen und Schulräume auf. Sie suchten nach sicheren Wegen für die Menschen, um aus den Konfliktgebieten herauszukommen. Sie versuchten, eine Atmosphäre der zivilen Selbstverteidigung aufrechtzuerhalten.

Doch im Juni 2023 kam es zum Massaker von Geneina, bei dem "arabische" Milizen Tausende von "schwarzen" Einwohnern und Flüchtlingen in dieser Stadt töteten, darunter auch Khamees, den Gouverneur des Staates Ost-Darfur. Die Hoffnung schwand. Die Gräueltaten an der Zivilbevölkerung waren ein schwerwiegendes Signal, das auf die tiefgreifenden konterrevolutionären Auswirkungen des Krieges hinwies. Mit der RSF verbündete Milizen räumten ein ganzes von Massalit bewohntes Viertel, bezeichneten die Männer als Sklaven und erschossen sie, vergewaltigten die Frauen, plünderten die Häuser und steckten sie in Brand, und errichteten Straßensperren, um die Flüchtenden auszurauben zu selektieren.[11]

Dies waren die ersten Mittel zur Zerstörung des sozialen Gefüges: Zerstörung von Vierteln, Tötung, Ausbeutung, Plünderung, Brandstiftung und Vergewaltigung. Errichtung von Straßensperren, um die Menschen nach ihrer Zugehörigkeit zu einem "Stamm" zu sortieren. Sie reduzierten die Menschen auf ihre "Stammesidentität", was wir als Re-Tribalisierung der Gesellschaft bezeichnen könnten.

Im Juli 2023 wurde Omdurman zum nächsten Kriegsschauplatz. Wieder kam es zu Plünderungen und Vergewaltigungen, als die "arabischen" Milizen in die Viertel von Omdurman eindrangen. Wieder selektierte die RSF nach "Arabern" und "Schwarzen". Die Frauen, die in ihren Vierteln und auf den Straßen so aktiv gewesen waren, wurden in ihre Häuser zurückgedrängt oder gezwungen, außerhalb der Stadt Schutz zu suchen. Die SAF stand auf der anderen Seite des Flusses und flog Bombenangriffe auf Wohnviertel und öffentliche Plätze. Die Bombardierung des Marktes von Omdurman war eines der grausamsten Beispiele.[12] Im August dehnte sich das Kriegsgebiet auf Khartum aus, was zur Vertreibung von Millionen Menschen führte. 75 % der Menschen verließen die Stadt und flohen in den Norden, Osten oder Süden.

Im Oktober eroberte die RSF Nyala, die Hauptstadt des Staates Süd-Darfur. Dies wurde von vielen Beobachtern als entscheidender Durchbruch gewertet, und später eroberten die RSF ohne größere Kämpfe Nord-Kordofan und Gerzira. Im Dezember 2023 nahmen sie Wad Madani ohne Widerstand ein. Hunderttausende mussten erneut fliehen, durch Kontrollpunkte, die von der RSF oder von islamistischen Kämpfern, die mit der SAF verbündet sind, und von der SAF selbst errichtet wurden. Nun wurden vor allem Aktivist:innen und Menschen, die sich nicht mit einer der Kriegsparteien verbündet hatten, aussortiert, verhört, und manchmal verschwanden sie gewaltsam. Das Alltagsleben wurde militarisiert. Die letzten RCs waren gezwungen, sich mit den Militärkräften zu arrangieren, die das jeweilige Gebiet kontrollierten, und ihre humanitären Aktivitäten litten unter dem Mangel an Hilfsgütern. In Abwesenheit des Staates waren sie oft die letzten kommunitären Akteure, wenn auch hilflos.

Inzwischen sind 60 % des ehemaligen "Sudan" eine Konfliktzone. Kein Wasser, keine Nahrungsmittel, kein Strom. Eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen ist verloren. In Gezira, dem Brotkorb des Sudan, wurde ein Großteil der landwirtschaftlichen Infrastruktur zerstört, was langfristige Auswirkungen haben wird.

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Quelle: WOZ

In den letzten Wochen hat die SAF mit der Rekrutierung von Kämpfern, darunter auch Frauen, begonnen. Die RSF rekrutiert ebenfalls, im gesamten Sahelraum. Dies ist der nächste Schritt der konterrevolutionären Vorgehensweise: die Menschen werden gezwungen, sich gegen ihre Interessen auf die Seite der RSF oder der SAF zu stellen, es gibt kein Entkommen, und sie opfern sich der militärischen Disziplin und dem Gehorsam.

Damit ist unsere Liste der konterrevolutionären Maßnahmen noch nicht vollständig.

Hungersnot: Die SAF verweigert willkürlich die Lieferung von Nahrungsmittelhilfe. Die RSF importiert zwar Waffen, aber keine Nahrungsmittel für die Bwevölkerung. Die Entvölkerung ist das, was eine Integration in das kapitalistische globale System ohne sozialen „Überschuss“ ermöglicht.

Ausbeutung und Land-Grabbing: Es wäre interessant, die Liste der Land-Grabbing Projekte im Sudan zu aktualisieren. Wie in der Ukraine sind diese Dinge in Zeiten des Krieges leicht zu realisieren. In Gezira geschieht etwas Seltsames: Die RSF haben einen Großteil der Bevölkerung vertrieben, darunter auch alle Flüchtlinge aus der Dreiecksstadt. Die alten Strukturen sind ausgeplündert. Und nun schreitet die SAF-Regierung ein: Sie verkauft einen Großteil des von der RSF gehaltenen Gebiets an die Emirate (die die RSF finanzieren).[13] Mit diesem Geld wollen sie Drohnen aus der Türkei und dem Iran kaufen. Die Kriegsindustrie, die Emirate und das Großkapital werden ohnehin die Gewinner sein.

Humanitarisierung: Nach der Zerstörung kommen die internationalen Akteure zusammen, um Mittel bereitzustellen. Auf der Pariser Konferenz wurden gerade mehr als 2 Milliarden Euro zugesagt. Der Chef der EU-Außenpolitik sagte, der Krieg im Sudan habe "die schlimmste humanitäre Krise der Welt ausgelöst". Das ist richtig, aber die EU hat dazu beigetragen, sie auszulösen. Es gab ein Paralleltreffen mit Tagadum (Vertreter der alten politischer Parteien, ehemalige FFC), während die basisnahen Strukturen vor Ort außen vor gelassen wurden. Die Humanitarisierung wird vielen Vertriebenen das Überleben sichern, und das wird das Gewissen der Geber beruhigen. Ehemalige revolutionäre Menschen werden auf ein Leben in den Lagern reduziert. NGOs werden die Führung übernehmen und die Menschen in Governance schulen. Nach dem Militär werden die NGOs und die humanitären Akteure weitere Gewinner dieses Kriegs sein.

Plakat SUpport the peoples

Credit: Ibrahim Algrefwi

Die Artikel im Dossier

Der Artikel von Muzan Alneel, The Sudanese Revolution in Crisis, wurde bereits veröffentlicht. Muzan sieht den Sudan auf dem Weg zurück in die Diktatur. Sie erinnert an die Jahre der Ruhe, als die politische Situation offen war, und spricht über den Verlust der Unterstützung der Bevölkerung für die RCs. In der Tat haben die internationalen Akteure, einschließlich der Vereinten Nationen, die revolutionären zivilen Strukturen vor Ort nie unterstützt und wählen derzeit die Generäle und die Politiker von Tagadum, die sich in den Städten im Ausland aufhalten, als ihre Partner. Muzan macht keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung darüber, dass die RCs nicht in der Lage waren, grundlegende politische Strukturen vor Ort zu halten und keine Vertretung im internationalen Kontext haben.

Zu den externen Akteuren des Krieges ist der Artikel von Saskia Jaschek, More than a Domestic Conflict, ebenfalls auf der Homepage der RLS veröffentlicht worden. Saskias Artikel beleuchtet die komplexen Verflechtungen dieses Krieges, die verschiedenen regionalen und internationalen Akteure, die an dem Konflikt beteiligt sind, und ihre vielfältigen - sich teils überschneidenden, teils widerstreitenden - Interessen an dem Konflikt. Er gibt einen Überblick über die wichtigsten Verflechtungen, mit besonderem Augenmerk auch auf die EU und Deutschland, was die Autorin mit diesen Worten zusammenfasst: "In ihrem Kern sind (die verschiedenen Verbindungen, Interessen und Allianzen im aktuellen Krieg im Sudan) Kämpfe um Hegemonie und Vorherrschaft von Nationalstaaten, gepaart mit Abschottungspolitik und kapitalistischen Interessen, die von Aktionen des Extraktivismus und einer globalen Kriegsökonomie geleitet und befriedigt werden."

Andreas Bohne hat einen Artikel mit dem Titel Der Krieg im Sudan führt zu Massenhunger geschrieben. Darin stellt er fest, dass ohne einen Waffenstillstand die Situation bald außer Kontrolle geraten könnte - und das ist sie ja auch schon: "Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bisher mehr als 12.000 Menschen bei den Kämpfen ums Leben gekommen. Von den 10 Millionen Vertriebenen sind 1,7 Millionen in andere Länder geflohen [...] Zwischen den Kriegsparteien gefangen, breitet sich nun der Hunger unter der Zivilbevölkerung aus. Durch die Zerstörung der Infrastruktur sind viele nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Der Krieg hat die landwirtschaftliche Produktion inzwischen weitgehend zum Erliegen gebracht, und beide Kriegsparteien blockieren immer wieder den Zugang zu humanitären Hilfsgütern."

Das Dossier wird auch einen Artikel von Sara Abbas über Mediation und "Peacemaking" enthalten. Sara schreibt über die Geschichte der gescheiterten, vom Westen vermittelten und unterstützten Bemühungen um Frieden im Sudan. Sie argumentiert, dass die Vermittlungen zwar vordergründig versucht haben, politische Lösungen auszuhandeln, die den Sudan auf den Weg des Friedens und des demokratischen Wandels bringen sollten. In Wirklichkeit aber wurden militärische Akteure in den Mittelpunkt gestellt, die ihren Machtbereich ausbauen konnten. So wurde die Krise der Staatsführung eher vertieft als gelöst.

Adam Babiker hat über die Situation der Migration am Horn von Afrika während des Kriegs geschrieben. Adam lebt im Bundesstaat Gedaref, und eines seiner Themen sind die äthiopischen Arbeiter:innen, die früher für Saisonarbeit in den Ostsudan kamen. Adam schreibt auch über den Sudan als Drehscheibe für den Transit und die sich durch den Krieg verändernden Routen. Der Krieg hat zum Leid der sudanesischen Zivilbevölkerung, der Flüchtlinge und der Migranten gleichermaßen geführt.

Narjes Torchani schreibt einen Artikel über sudanesische Flüchtlinge mit kurzen Statements von Frauen in Kairo, Flüchtlingen im Norden Ägyptens, in den VAE und in Tunesien. Von den 10 Millionen Vertriebenen haben 1,7 Millionen die Grenzen zu den Nachbarländern überquert, die meisten von ihnen in den Tschad und den Südsudan, wo sie zumeist in den Flüchtlingslagern gestrandet sind. Diejenigen, die es nach Ägypten, in die arabischen Länder oder nach Europa geschafft haben, gehören eher zur Mittelschicht. Nur sehr wenige "einfache Leute" machen sich auf den Weg nach Libyen und Tunesien und versuchen, nach Italien überzusetzen.

Aus einem Lager im Bundesstaat White Nile, nahe der Grenze zum Südsudan, erhielten wir einen Artikel von Tahani Ajak über die Rekrutierung von Soldaten und Milizionären in dem Lager.

Die Autoren dieser Einleitung werden ein (schriftliches) Interview mit Muzna Alhaj und Osman Abdallah über die Geschichte und die aktuelle Situation der RCs führen. Wir wissen sehr wohl, dass sich die RCs in einer schweren Krise befinden und auf der internationalen politischen Bühne vernachlässigt werden. Dennoch halten wir Informationen über die RCs für ein sehr zentrales Thema in diesem Dossier. Wir halten diese für ein Welterbe der revolutionären Bewegungen.

Es gibt drei weitere Artikel in dieser Reihe, die zu einem späteren Zeitpunkt erscheinen werden: ein Artikel über feministische Kämpfe und Bewegungen sowie Artikel, deren Autoren noch zu benennen sind, über Parteien und Klassendynamik und über die Ökonomie des Krieges und des Hungers.

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Weitere Lektüre

Materialien

Zeitleiste Sudan

Revolutionary Charter, and Comment by Muzan Alneel

UN (2023): Final Report of the Panel of Experts on Sudan Pursuant to Security Council Resolution 2676 (2023)

OCHA (15.04.24): Sudan: One Year of Conflict - Key Facts and Figures (15 April 2024)

Collectred Press Articles: One year of War in Sudan

WOZ 21.03.24: Krieg im Sudan: Gefangen zwischen den Generälen

AJE 11.04.24: After a year of war in Sudan, what is the situation now?

ACLED 14.04.24: Situation Update | April 2024 One Year of War in Sudan

NYT 15.04.24: One Year of War in Sudan: How Two Rival Generals Wrecked Their Country

Le Monde Afrique 16.04.24: Sudan: Torn apart by a year of war

TNH 15.04.24: How we chronicled one year of conflict in Sudan

Guardian 17.04.24: Increasing number of villages torched across Sudan shows conflict is intensifying - report

Bücher

Willow Berridge, Justin Lynch, Raga Makawi and Alex de Waal (2022): Sudans’s Unfinished Democracy. The Promise and Betrayal of a Peoples Revolution, London (Hurst: African Arguments)

Mahmood Mandani (2020): .Sudan: Colonialism, Independence, and Secession, Book Chapter in Neither Settler nor Native (Havard UP)

Elena Vezzadini, Iris Seri-Hersch, Lucie Revilla, Anael Poussier and Mahassin Abdul Jalil (Eds)(2023): Ordinary Sudan, 1504 – 2019 (De Gruyter)

On Darfur:

Julie Flint and Alex de Waal (2008): Darfur. A new history of a long war, Zed Books

Eine gute Übersicht auf deutsch:
Thomas Schmidinger (2020): Sudan, Wien (bahoe books).

Margret Otto (erscheint demnächst): Netzwerkwe der Zugehörigkeit knüpfen. Konzeptionennachbarschaftlichen Lebens in ausgewählten Stadtvierteln in Khartum und Omdurman (ISBN: 978-3-643-25101-5 )

Artikel

Sara Abbas (2021): The Sudanese Revolution’s Second Act

Sara Abbas and Shireen Akram-Boshar (2022): The Future of the Resistance Committees in Sudan. A Roundtable with Abdelsalam Mindas, Muzan Alneel, and Magdi el Gizouli

Sara Abbas (2023): In Sudan, the Revolution Is Caught in the Crossfire

Muzna Alhaj (Interview, 2022): Revolutionary Organizing in Sudan

Suliman Baldo (2017): Border Controls from Hell: How the EU’s migration partnership legitimizes Sudan’s “militia state”

Reta Barfus (2023): How the European Union Finances Oppression

Victoria Bernal (1997): Colonial Moral Economy and the Discipline of Development: The Gezira Scheme and "Modern" Sudan

Magdi el Gizouli (2020): Mobilization and Resistance in Sudan’s Uprising

Gerrit Kurtz (2024): Machtbeziehungen in Sudan nach dem Fall Bashirs (SWP Studie)

Azza Mustafa and Sara Abbas (2020): Learning from Uprisings: Sudan’s December Revolution, in: Saab (2020): A Region in Revolt, Mapping the Recent Uprisings in North Africa and West Africa, Ottawa and Amsterdam

Edward Thomas and Magdi el Gizouli (2021): Creatures of the Deposed: Connecting Sudan’s Rural and Urban Struggles

Alex de Waal (2019): Sudan: A Political Marketplace Framework Analysis. World Peace Foundation occasional paper

Footnotes

  1. Wir verwenden diesen Begriff in Anlehnung an Asef Bayats Buch Leben als Politik. Wie ganz normale Leute den Nahen Osten verändern (auf deutsch Assoziation A, 2012). Für eine tiefergehende Diskussion dieses Begriffs siehe Bringing Ordinary People Back into Sudan Studies, die Einleitung zum Buch Ordinary Sudan, 1504-2019, von Iris Seri-Hersch, Elena Vezzadini und Lucie Revilla. Aus unserer Sicht ist der Begriff angemessener als "Arbeiterklasse" oder "arbeitende Klassen", weil er die Reproduktionsweisen dieser Menschen als revolutionären Faktor einschließt.

  2. السودان حروب الموارد والهوية، محمد سليمان (Sudan, wars of resources and identity (2010), 168

  3. Mahmood Mamdani (2020): Neither Settler nor Native, Harvard University Press

  4. Die Studie von Margret Otto: Netzwerkwe der Zugehörigkeit knüpfen. Konzeptionennachbarschaftlichen Lebens in ausgewählten Stadtvierteln in Khartum und Omdurman (ISBN: 978-3-643-25101-5 ) wird demnächst im LIT Verlag erscheinen.

  5. Magdi el Gizouli (2020): Mobilization and Resistance in Sudan’s Uprising

  6. Thomas Schmidinger (2020): Sudan, Wien (bahoe books), S. 137

  7. Einen kurzen Überblick über die Geschichte der Beziehungen zwischen dem IWF und dem Sudan von 1986 bis 2022 gibt Magdi el-Gizouli in seinem Blog, https://stillsudan.blogspot.com/2022/11/sudan-neoliberal-orthodoxy-is-no-friend.html

  8. Magdi el Gizouli (2020): wie FN 5

  9. Leicht verändert zitiert aus Sara Abbas und Shireen Akram-Boshar (2022): The Future of the Resistance Committees in Sudan.

  10. Adam Benjamin (2023): Marketing War, An Interview with Maghdi el Gizouli, auf Phenomenal World. Wir stimmen nicht mit El-Gizoulis Analyse überein, dass "die unmittelbaren Gründe für den Krieg in den Kasernen liegen, in einem Streit um Befehl und Kontrolle". In diesem Interview gibt E-Gizouli jedoch eine sehr aufschlussreiche Darstellung der Kriegsökonomie, was die RSF betrifft.

  11. UN (2023): Abschlussbericht der Expertengruppe für den Sudan gemäß der Resolution 2676 des Sicherheitsrates (2023)

  12. Das Gleiche geschieht derzeit in El Fasher, der Hauptstadt von Nord-Darfur. 40.000 Menschen sind aus ihren Häusern geflohen. Die Zahl der Dörfer, die durch gezielte Brände zerstört wurden, steigt. Siehe Guardian vom 17.04.24: Immer mehr Dörfer im Sudan in Brand gesteckt - ein Zeichen für die Verschärfung des Konflikts - Bericht

  13. Statement des RC von Kararri / Omdurman. Wir halten diesen Bericht, der sich auch auf das sudanesische Finanzministerium beruft, für vertrauenswürdig